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Ein Blick zurück

Ford Edge meets Mexican Hat

"Hallo ich. Schön, dass du auch hier bist. Kann ich dir ein paar Fragen stellen?" - Ich so: "Klar, schiess los!" "Du glaubtest ja 2018, wie schon so viele vor dir, dass du plötzlich zu einer Reise aufbrechen müsstest. Hat sich das Ganze am Ende gelohnt?" "So plötzlich kam dieser Entscheid bei mir eigentlich nicht. Aber egal. Seit ich wieder zu Hause bin habe ich mir diese Frage schon öfters gestellt. Eine allgemein gültige Antwort darauf habe ich bisher noch keine gefunden. Für mich konnte ich sie aber inzwischen beantworten: Auf jeden Fall!" "Warum?" "Weil es einerseits schon lange mein Traum gewesen ist und ich andererseits keine einzige Erinnerung daran bereue." "Du würdest also alles nochmals genauso machen?" "Vielleicht nicht genau so. Aber ich würde es auf jedenfall nochmals machen. Denn es vergeht zum Glück immer noch kaum ein Tag, an dem ich nicht irgendwann einen Moment erlebe, der mich an ein Erlebnis auf dieser (eigentlich recht kurzen) Reise erinnert. Manchmal denkt man plötzlich an einen Menschen, der einem begegnet ist. An den Anblick einer Landschaft, der einem fast die Sprache verschlagen hat. Ein Lied, das einem irgendwo auf der Welt schon einmal zu Ohren gekommen ist. Dieses Gefühl von Freiheit, das man sich nur allzu oft wieder zurück wünscht." "Ein Gefühl von Freiheit? Sind wir denn nicht alle frei?" "Doch. Und am Ende geht es doch genau darum. Jeder muss selbst herausfinden was ihn oder sie glücklich macht. Sei es nun im Bezug aufs Reisen oder überall sonst; hauptsache man steht hinter seinen Entscheidungen und bereut möglichst wenige davon." "Bleiben wir beim Reisen. Welchen Sinn macht denn das Reisen überhaupt, wenn man dabei nicht wenigstens eine Sprachschule oder eine Stelle im Ausland antritt? Ist doch auch nur ein verlängerter Urlaub?" "Mag sein. Trotzdem halte ich es für eine gute Möglichkeit, welche vielen Leuten ein paar wichtige Dinge im Leben wieder vor Augen führen kann." "Zum Beispiel?" "Der Anblick deines eingelagerten Hausrats zusammen mit der Frage, was damit und mit all dem anderen Zeug, dass sich über die Jahre so angesammelt hat, wohl passieren würde, wenn du (im unwahrscheinlichen Fall) nicht mehr zurück kommen würdest. Oder wie viele dieser Dinge du tatsächlich jemals wieder brauchen wirst oder du sie nicht doch nur für-alle-Fälle aufbewahrst. Oder auch die Erkenntnis, was man an weltlichen Dingen überhaupt braucht um ein glückliches Leben führen zu können. Und wie stark einen die Verführungen des Konsums schon beeinflusst haben. Wie glücklich wir uns eigentlich schätzen sollten, was wir alles schon haben. Und uns dabei fragen, weshalb uns das trotzdem nicht zu glücklicheren Menschen gemacht hat." "Hört sich ziemlich philosophisch und selbstkristisch an. Bedeutet das du hast dein Leben aufgrund dieser Erkenntnisse nun geändert?" "Nein. Aber ich hinterfrage vielleicht gewisse Dinge mehr als vorher. Oder schätze die kleineren, vermeintlich unwichtigeren Dinge wieder mehr und bin dankbarer dafür. Da eine Vielzahl von uns Schweizern sich in der priviligierten Situation befindet, sich eine solche Erfahrung einmal im Leben durchaus leisten zu können, sollten wir uns über die möglichen Konsequenzen nicht immer so viele Sorgen machen. Ja; diese Reise hat mich viel gekostet. Ja; wenn man gewisse Verpflichtungen hat kann man das vielleicht nicht einfach so machen. Ja; es war im Nachhinen umso wichtiger für mich, diese Erfahrung allein zu machen. Und Ja; man sollte sich solche Entscheidungen immer sehr gut überlegen, bevor man sie trifft. Aber NEIN; deswegen war es noch lange keine unüberlegte, unvorsichtige oder gewagte Entscheidung. Für mich war es der richtige Moment und ich war und bin bereit, alle Konsequenzen daraus zu tragen und bereue es trotzdem keine Sekunde. Selbst wenn das bedeutet, dass ich jetzt quasi nochmals-bei-Null anfangen muss." "Lassen wir das mal so stehen. Du hast vorhin das Alleinreisen erwähnt. Wäre es nicht besser all die schönen Erfahrungen mit jemandem teilen zu können?" "Ich war nicht wirklich oft allein unterwegs. Und obwohl ich hier gerade ein Interview mit mir selbst führe bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ich eine gespaltene Persönlichkeit habe. Zu Beginn meiner Reise habe ich zum Beispiel G-Tours (organisierte Gruppenreisen) unternommen, um überhaupt mal ins Reisefeeling zu kommen. Auf dem Roadtrip durch die USA war ich dann sogar froh, dass ich mal ein paar Wochen einfach für mich allein unterwegs war. Du musst dich auf einer mehrstündigen Autofahrt mitten durch die Wüste zwangsläufig mit etwas beschäftigen, da du andernfalls einschlafen würdest. Zum Glück hab ich immer noch eine ziemlich rege Fantasie und mir wurde es auf den rund 8'000 km so gut wie nie langweilig. Später war ich dann wieder mit Freunden und meiner (inzwischen) neuen Partnerin unterwegs und habe es dabei sehr genossen, wieder ein paar bekannte Gesichter um mich zu haben. Es gibt bei der Frage nach dem Alleinreisen also meines Erachtens keine richtige Antwort. Am besten man probiert einfach alles aus, wenn man schon die Möglichkeit dazu hat! Natürlich ist es schön, eine besondere Erfahrung mit jemandem teilen zu können. Aber ich glaube es macht die gleiche Erfahrung nicht weniger wertvoll, wenn ich der Einzige bin, der davon weiss und ich dadurch selbst entscheiden kann, mit wem ich sie teilen bzw. davon erzählen kann." "Thema Bekanntschaften. Ist dir eine davon in besonderer Erinnerung geblieben?" "Viele. Ich habe so viele wunderbare Menschen und deren unterschiedliche Persönlichkeiten kennengelernt, dass ich nicht mit Gewissheit sagen könnte, dass der oder die eine mir jetzt besonders in Erinnerung bleiben würde. Natürlich gibt es da die ein oder andere Begegnung, die man keinesfalls missen möchte. Ich bin aber dankbar für jede davon." "Wenn es schon keine ganz besonderen Menschen zu geben scheint, gabs wenigstens ganz besondere Momente?" "Es gab auch Erstere, du hörst mir nicht richtig zu. Besondere Momente gabs aber noch viel mehr. Ich denke da zum Beispiel an dieses unbeschreibliche Gefühl, als ich manchmal bei gehissten Segeln ganz vorne am Katamaran auf meinen Lieblingsplatz geklettert bin, mir Walk on Water von Thirty Seconds to Mars reingezogen habe und Gänstehaut wegen diesem Glücksgefühls bekommen habe. Als dann eines Tages auch noch eine Delfinfamilie beschloss mich in diesem Dilirium der Dankbarkeit zu besuchen, sind mir schier die Tränen eingeschossen. *lacht* Oder ich denke an die Begegnung mit der jungen Klapperschlage im in diesem Moment noch viel beengender wirkenden Waterhole Canyon. Die Guides, allesamt junge Teenies indigener Abstammung und längst davongesprungen während ich noch meine Aufnahmen machte, erklärten mir zum Glück erst später, dass diese Fiecher sogar springen können! *lacht (schon wieder)* Oder dann denke ich an den Anblick einer riesigen Felsformation, über die hundert kleine Wasserfälle zu fliessen schienen. Und man sich dank frühem Aufstehen als erster des Tages mit der verlockenden Aufgabe konfrontiert sieht, diese Wassermassen ungesichert zu erklimmen. Oder ich denke an das etwas beklemmende Gefühl, als wir in einem vollbesetzten Flieger in Hawaii auf 14'000 Fuss hochgestiegen sind, alle anderen Tourispringer sich fleissig mit ihren Tandemguides unterhielten weil diese ihnen alles genauestens erklärten, während meiner (wohl auch noch der Jüngste von allen!) hinter meinem Rücken seelenruhig sein Buch weitergelesen hat, während ich mir ausmalte, wie ich mir in wenigen Sekunden beim Sprung aus dem Flugzeug wohl fast in die Hosen machen würde. Und ich Depp hatte dem Typen vorm Einsteigen auch noch gesagt, er soll mir zu meinem 30sten Geburtstag doch bitte den vollen make-me-scream-jumpstyle geben. Feucht wurde es dann zum Glück zwar nicht, als ich quasi (erstarrt vom Adrenalinkick und mit vorbeiziehendem Lebensfilm vor Augen...) aus dem Laderaum "gekippt" wurde. Beim Blick nach unten ist mir das Herz fast stehen geblieben und ich hatte panische Angst, dass ich wegen der Fallgeschwindigkeit kaum Atmen könnte. Dem war zum Glück nicht so. Diese Sorge verflog aber auch schnell, weil der Typ natürlich als Erstes mit mir gleich einen Salto hinlegte und ich dadurch dem sich rasant entfernenden Flugzeug nochmals zuwinken konnte. Nach einem lauten Schrei eines gewissen Kraftausdrucks konnte ich den freien Fall aber wirklich geniessen und mit dem Kameramann und dem Nachwuchshippiespinner an meinem Rücken sogar noch ein paar Spässchen machen. Was für ein geiles Geschenk! Merci Maus!!!!!" "Natur, Adrenalin und nette Begegnungen: Alles Dinge die man doch auch hierzulande bekommen kann. Wozu dann soviel Geld fürs Reisen ausgeben?" "Weil die Welt da draussen noch viel mehr zu bieten hat als nur unsere, zugegeben äusserst schöne, Heimat. Und weil es manchmal auch einfach gut tun kann, aus der Komfortzone auszubrechen und mal etwas mehr zu riskieren als einen doppelten Espresso zu saufen. Ich finde der Reiche, der gar keine Zeit hat seinen Reichtum zu geniessen ist wesentlich ärmer dran als der Arme, der offenherzig durchs Leben geht und das Beste aus seiner Situation macht. Trotzdem werde ich niemanden von einem solchen Vorhaben zu begeistern versuchen. Beglückwünsche aber jeden, der sich bewusst dafür entscheidet." "Was würdest du so jemandem raten?" "Zieh's durch, komme was wolle! Und lass dir bloss nicht von anderen einreden wie egoistisch oder kurzsichtig deine Entscheidung doch sei. Du musst dich schliesslich vor niemand anderem rechtfertigen als vor dir selbst. Und beklage dich danach nicht über die Konsequenzen. Du lebst nur einmal. Nämlich jetzt." "OK, anderes Thema: Nun bist du ja wieder zurück und machst den selben Job wie vorher. Neben den schönen Erinnerungen und dem leeren Bankkonto, was hat dir die Reise unterm Strich gebracht?" "Zufriedenheit, Gelassenheit und Lebensfreude. Die hatte ich vorher zwar auch, aber ich glaube trotzdem diese Reise hat mich verändert. Vielleicht bin ich nicht zu all den Erkenntnissen über mich selbst gekommen, die ich mir zeitweise davon erhofft hatte, aber das Ganze hat sich für mich trotzdem gelohnt." "Inwiefern?" "Weil ich dadurch mir selbst etwas beweisen konnte: Wenn ich etwas wirklich will, dann zieh ich es auch durch. Es gibt für fast alles im Leben gewisse Pros und Kontras. Es gibt richtige und falsche Momente. Und fast jede Entscheidung birgt gewisse Risiken. Aber lieber riskiere ich eine Fehlentscheidung, als dass ich mir den Rest meines Lebens den Kopf darüber zerbrechen muss, was wohl passiert wäre, hätte ich doch nur den Mut gefunden, mich für etwas zu entschieden, dass ich mir schon lange gewünscht habe." "Also ist Nachsicht plötzlich doch besser als Vorsicht?" "Nein. Aber Mut ist besser als Angst und Überzeugung besser als Zweifel. Wen aber die Sicherheit seines gewohnten Umfeldes, seines Jobs, seines Autos oder seines Wohlstandes glücklicher macht; enjoy! Aber dann wirf mir bitte nicht vor egoistisch zu sein, nur weil ich manchmal versuche etwas über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken! Got that?" "Du weisst noch, dass du dieses Gespräch gerade nur mit dir selbst führst?" "Ja, danke. Nächste Frage bitte." "Nicht beunruhigt wegen möglicher Rückschlüsse auf deine Persönlichkeit?" "Welche davon? :-) Und was hab ich dir gerade über meinen Umgang mit Konsequenzen gesagt? Also, nächste Frage." "Bevor wir uns gemeinsam an die eigene Gurgel gehen, schliessen wir lieber langsam ab. Noch ein paar letzte Worte?" "Ja: Halt bitte endlich die Klappe." "Sehr sympathisch Herr Alpenvogel. Danke für das nette Gesprääällsdkghö......" *Würgegeräusche*

Aufgezeichnet am 17. November 2018 irgendwo in den Alpen.

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